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Alte Liebe: Heinrich Haussler und die Klassiker

19 Jahre und damit sein halbes Leben war Heinrich Haussler Radprofi. In Australien geboren, mit 14 Jahren nach Deutschland gezogen - um Radprofi zu werden. Etappensieger bei der Tour de France, der Vuelta und der Tour de Suisse. Seine große Liebe aber galt dem Kopfsteinpflaster in Belgien und Frankreich. 

2023 musste er seine Karriere aufgrund von Herzproblemen beenden. Statt auf dem Sattel sitzt er jetzt als Sportlicher Leiter am Lenkrad des Renndienstwagens. Heinrich Haussler über seine zweite Karriere als junger Sportlicher Leiter, brennende Leidenschaft für die Klassiker und warum die Rennen heute härter sind als noch vor 15 Jahren. 

 

 

Heino, zurück in Belgien, zurück bei den Klassikern. Wie fühlt sich das für dich an? 

Hier zurück zu sein, das fühlt sich an wie nach Hause kommen. Ich liebe diese Stimmung! Das fängt am Opening Weekend an und dann baut sich die Spannung bis zu den Höhepunkten immer weiter auf. Ich liebe so gut wie alles hier - die Rennen, das Wetter, die Atmosphäre, die Recons, die Taktik-Besprechungen. Ich brenne unheimlich für die Klassiker, das ist genau mein Ding. 

 

Nach Herzproblemen hast du deine Karriere im letzten Jahr beenden müssen. Wie geht es dir jetzt? 

Die erste Zeit war nicht einfach für mich, immerhin war ich fast mein halbes Leben Radprofi. Glücklicherweise war ich bereits am Ende meiner Karriere und ohnehin nicht ganz sicher, ob ich noch ein Jahr dran hängen würde. 

Die Karriere fortzusetzen hätte gesundheitlich ein viel zu hohes Risiko dargestellt. Eine Herzmuskelentzündung hat eine Narbe an meinem Herz hinterlassen. Extreme Herzrhythmusstörungen waren die Folge. Heute trage ich einen Herzschrittmacher und einen Defibrillator in der Brust, meine Lebensversicherung. 

 

 

Die Klassiker und speziell jene in Flandern waren deine große Liebe als Radprofi. Jetzt bist du als Sportlicher Leiter wieder auf dem Kopfsteinpflaster unterwegs. Ein Berufswunsch, den du bereits als Profi gehabt hast? 

Definitiv war es mein Berufswunsch. Ich lebe für den Radsport, habe mein ganzes Leben nichts anderes gemacht. Für mich war immer klar, dass ich nach der Profi-Karriere meine Erfahrung weitergeben möchte. In meinem letzten Team als Profi wollte man mich schon vor einigen Jahren als DS verpflichten. Ich musste immer etwas darum kämpfen, noch ein Jahr als Fahrer machen zu können. Sportlicher Leiter kann ich noch lange sein, die Jahre als Profi sind limitiert. 

 

Welchen Klassiker bist du als Profi eigentlich am liebsten gefahren? 

Omloop het Nieuwsblad bin ich sehr gerne gefahren. Der Auftakt der Klassiker-Saison, der Straßenradsport in Belgien erwacht aus dem Winterschlaf und sofort packt einen diese krasse Stimmung. 

Aber natürlich auch die Flandern-Rundfahrt. Ein Monument, das Highlight für die Belgier, Menschenmassen an der Strecke - Gänsehaut! 

Aber: mein persönlicher Favorit ist Paris-Roubaix. Für dieses Rennen habe ich noch immer ein Feuer in mir. Würde heute jemand zu mir sagen, dass ich aus medizinischer Sicht wieder grünes Licht für Roubaix hätte - ich würde sofort auf das Rad steigen. Ein Traum, der leider auch ein Traum bleiben wird. 

Aber auch die Vorfreude auf mein erstes Paris-Roubaix als Sportlicher Leiter ist enorm. Die Tage vor Roubaix sind wie die Tage vor Weihnachten für ein kleines Kind. 

 

 

Und jetzt als Sportlicher Leiter? 

Das kann ich jetzt nach meiner kurzen Zeit als DS noch gar nicht so konkret beantworten. Aber eine Vorliebe für die Klassiker liegt auf der Hand. Ich kenne die Rennen sehr gut, daher kann ich den Fahrern hier sehr viel Wissen mit auf den Weg geben. An welcher Stelle im Rennen muss man in Position sein, wo passieren fast immer Stürze oder an welchem Anstieg kann die entscheidende Attacke gefahren werden. Ich denke noch immer wie ein Rennfahrer, ich weiß wie es sich anfühlt, mit 500 Watt in eine Kopfsteinpflaster-Passage zu fahren. Das hilft mir sehr bei meiner Arbeit hier. 

 

 

 

Wie haben sich die Klassiker-Rennen in den letzten Jahren verändert? 

Die Rennen haben sich brutal verändert. Jede Mannschaft hat ein richtiges Klassiker-Team mit extrem starken Fahrern. Die Rennen werden so brutal hart gefahren und verlangen den Profis absolut alles ab. Man muss hier 6 Stunden lang zu 100% konzentriert sein. Früher gab es vor dem Kwaremont einen Sprint für die Positionen, heute ist in der Flandern-Rundfahrt 270km lang Positionskampf. Es gab vielleicht 10 Spezialisten für diese Rennen. Heute hat jede Mannschaft mehrere Klassiker-Fahrer, die am Ende auch um den Sieg fahren können. 

 

2009 warst du Zweiter bei der Flandern-Rundfahrt. Wird das Rennen heute anders gefahren? 

Ab 100km vor dem Ziel ist heute Finale, die großen Jungs fahren unglaubliche Solos. 2009 sind wir noch mit 30 Mann zum Zielstrich in Ninove gekommen. Im Vergleich zu heute war aber auch die Streckenführung damals wesentlich einfacher. 
Material, Training, Ernährung - da hat sich sehr viel getan seit 2009. Ein Fahrer wie Mathieu van der Poel hätt sich damals wahrscheinlich gespielt mit uns.

 

Du bist ein junger DS und mit den meisten deiner Fahrer noch zusammen im Peloton gefahren. Das kann hilfreich und herausfordernd zugleich sein oder? 

Im aktuellen Verglich bin ich vielleicht noch ein junger Sportlicher Leiter. Aber auch in anderen Teams werden die DS jünger. Der Sport hat sich verändert, die Rennen werden anders gefahren, die Taktiken haben sich verändert. Da kann ein Sportlicher Leiter, der vor kurzer Zeit noch Profi war, durchaus wertvoll sein. Ich viele Fahrer im Peloton und weiß vielleicht auch, wo deren Schwächen liegen. Der moderne Radsport hat mich gerade erst ausgespuckt und auch wenn ich jetzt am Lenkrad sitze, ich kenne die Dynamiken im Peloton sehr gut. Die Jungs vertrauen mir und meiner Erfahrung.  

 

 

Emil Herzog ist 19 und am vergangenen Wochenende seine erste Flandern-Rundfahrt gefahren. Du warst 19 Jahre Profi und bist 15 mal Flanders gefahren. 
Was gibst du einem jungen Profi wie Emil in seiner ersten Saison mit auf den Weg? 

Ich bin mit 20 Profi geworden, ich kann ihn auf vielen Ebenen sehr gut verstehen. Wir sprechen wirklich viel vor und nach den Rennen. Er hat einen großen Motor und eine herausragende Radbeherrschung - Emil hat echt Talent für die Klassiker. Er muss aber auch noch viel lernen. Positionierung, die Streckenabschnitte kennenlernen, Chancen sehen und dann den Mut haben, Chancen eiskalt zu nutzen.  

 

Dein erstes Paris-Roubaix als DS steht am Wochenende an. Ein Rennen mit dem du viele Erinnerungen und Emotionen verbindest. Aufgeregt? Vorfreude? 

Roubaix ist der krönende Abschluss der Klassiker-Saison. Die nervösen ersten 90km, die Positionskämpfe vor Arenberg, die Schmerzen in den Händen - kein anderes Rennen ist so hart für Körper und Geist, bei keinem anderen Rennen fließt so viel Adrenalin durch die Adern der Rennfahrer. Ich denke, dass es im Auto dahinter sehr ähnlich sein wird. Emotional erlebt man als Sportlicher Leiter das Rennen ähnlich intensiv. Man spürt, wie die Rennfahrer leiden, fiebert mit und gibt am Funk alles, damit sie nie aufgeben.

Ich genieße diese angespannte Vorfreude vor Roubaix, ich bin unglaublich heiß auf das Rennen! 

 

 

Für die Fahrer ist Roubaix extrem hart. Wo liegen die Herausforderungen für einen Sportlichen Leiter? 

Bei Paris-Roubaix musst du flexibel sein. Du brauchst nicht nur einen Plan B. Selbst  wenn Plan C nicht klappt, dann brauchst du noch immer Ideen, wie du zurück kommen kannst. Hier kann so viel passieren; nur hier kannst du vermeintlich aussichtslos abgehängt sein und am Ende in Roubaix auf dem Podium stehen. Roubaix benötigt eine akribische Vorbereitung. Die Einteilung der Betreuer auf der Strecke, Strategien zur Verpflegung und zur schnellen Hilfe bei Defekten. 

 

 

Die Ziellinie im Velodrom von Roubaix ist auch der Schlussstrich für die Kopfsteinpflaster-Klassiker. Wehmütig, dass diese besondere Zeit im Jahr dann schon wieder vorbei ist? 

Wehmütig ist für mich persönlich fast untertrieben. Wenn man für die Klassiker lebt und so viel Energie und Leidenschaft in diese Zeit steckt, dann ist da nach Roubaix erstmal eine gewisse Leere. Als Rennfahrer hat für mich dann eine neue Saison begonnen. Eine Saison, in der ich bei Rundfahrten für meine Kapitäne arbeiten musste und insgeheim nur von der nächsten Klassiker-Saison geträumt habe. Jetzt als Sportlicher Leiter spüre ich zwar auch diese Wehmut und Leere, freue mich aber auch auf die neuen Herausforderungen in diesem Sommer. Die Klassiker sind mir sehr leicht gefallen als DS, alles fühlt sich so selbstverständlich an. Ich weiß, wie man Rennen in Belgien gewinnen kann. Ich muss aber erst lernen, wie man eine Mannschaft zum Erfolg bei Rundfahrten führen kann. Der Giro wird für mich eine spannende Zeit, da kann ich viel von meinen Kollegen lernen. Das Klassiker-Notizbuch mit Aufzeichnungen zu Streckenabschnitten und Reifendruck bleibt aber in der Tasche - man kann ja nie früh genug beginnen mit der Vorbereitung. 

 

Letzte Frage: Leffe oder Kwaremont? 

Die Stimmung am Kwaremont ist unschlagbar (schmunzelt).

Für uns im Hochleistungssport kommt aber sowieso nur die alkoholfreie Variante unseres Partners Krombacher in Frage. 

 

 

© Anderl Hartmann